Allianz für Zukunft
Reden
„Innovation für neue Beschäftigungsfelder“
im Rahmen der Konferenz:
„Allianz für Zukunft und Arbeit“
am 02.07.1997 in Halle (S.)
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, zunächst einmal möchte ich mich für die Einladung zur Konferenz: „Allianz für Zukunft und Arbeit“ bedanken.
Die Themenstellung: „Innovation für neue Beschäftigungsfelder“ ist ein spannendes und sehr komplexes Thema.
Als Bezirksvorsitzender der DPG möchte ich mich in meinem kurzen Referat auf aus meiner Sicht wichtige, in der öffentlichen Diskussion unterbelichtete Punkte der Arbeitsmarktentwicklung im Zusammenhang mit informations- und kommunikationstechnologischen Entwicklungen auseinandersetzen.
Dabei zeichnen sich bei dem derzeit eingeschlagenen Weg zu Multimedia und der Informationsgesellschaft besonders unter Arbeitsmarktaspekten viele Mißverständnisse ab.
Die Verheißungen der Wachstumsbranche der Informations- und Kommunikationstechnologien, die ja den Stellenwert der heutigen Automobilindustrie erreichen sollen, beziehen sich bei genauem Hinsehen kaum auf die gesellschaftlich erforderlichen Arbeitsplatzzuwächse, sondern lediglich auf die erwarteten Umsatzgrößen.
Wie im weiteren zu zeigen sein wird, bedingen die derzeitigen Entwicklungen aber nicht quantitative, sondern auch qualitative Fragestellungen mit Bezug auf die Arbeitsplätze.
In der gegebenen kurzen Zeit möchte ich auf zwei, wie ich meine, wichtige Fragestellungen eingehen.
Dies ist erstens die Frage, welche prägenden Trends zeichnen sich aktuell ab und zweitens, welche gewerkschaftlichen Handlungsebenen zur Innovation für neue Beschäftigungsfelder ergeben sich daraus.
Zur ersten Fragestellung ist festzustellen, daß weltweit seit Beginn der achtziger Jahre der bisher traditionell staatlich organisierte Telekommunikationssektor unter erheblichen Privatisierungs- und Deregulierungsdruck geraten ist.
Vorreiter dieser Entwicklung waren die USA und Großbritannien, die bereits zu Beginn der achtziger Jahre Privatisierung und Deregulierung forciert haben.
In der Bundesrepublik wurde dieser Schritt mit der Postreform II 1995 durch die Umwandlung der DBP Unternehmen in Aktiengesellschaften vollzogen.
Die heftigen Auseinandersetzungen um die Privatisierung in der Bundesrepublik dürften dem interessierten Beobachter noch im Gedächtnis sein.
Alle damals von der Deutschen Postgewerkschaft aufgezeigten Probleme haben sich in kürzester Zeit als Wahrheit erwiesen.
Mit der jetzt anstehenden und beschlossenen Marktöffnung durch den Fall des Telefon- und Netzmonopols geraten ehemals geschützte Bereiche auf dem Weltmarkt in Konkurrenz.
Als Konkurrenzanbieter stehen Konzerne wie Britisch Telekom, AT & T und andere „Globalplayer“ in den Startlöchern.
Diese Konkurrenz wird entsprechend negative Wirkungen auf Anzahl und Qualität der bisherigen Arbeitsplätze in der Branche haben.
Der Druck auf die Arbeitsplätze der Branche entsteht aber nicht nur durch die gewollte Konkurrenz sondern auch, und dies ist nicht zu unterschätzen, durch die Rationalisierungspotentiale der Informations- und Kommunikationstechnologien.
Die platzvernichtende Wirkung entsteht nicht nur im Bereich der Anwender sondern auch im Bereich der Anbieter dieser Technologien.
Die Deutsche Telekom AG beabsichtigt nach eigenem Bekunden einen mittelfristigen Personalabbau von 60.000 bis 80.000 Menschen.
Dagegen wirkt sich der Beschäftigungszuwachs bei den Konkurrenten eher bescheiden aus.
So sind derzeitig beim ächst größten Anbieter, dem Mannesmann Mobilfunk, zwischen lediglich 6.000 bis 7.000 Menschen beschäftigt.
Nach offiziellen Ankündigungen werden im Endausbau bei dem bundesweit agierenden Netzanbieter CeBaCon ca. 8.000 Menschen beschäftigt.
Selbst die in den neuen Technologien innewohnenden Möglichkeiten zur Schaffung von Arbeitsplätzen in strukturschwachen Regionen wurden bisher nicht genutzt.
So hatte beispielsweise Lothar Spät in seinem Buch: „Der Weg in die Informationsgesellschaft“ bereits Mitte der achtziger Jahre auf solche Optionen in Form von „Satelitenbüros“ hingewiesen.
Heute nach mehr als 10 Jahren gibt es nach unserem Kenntnisstand keine nennenswerten Beschäftigungen in diesem Bereich.
Der Rückzug aus der Fläche geht munter weiter.
So läßt sich z. B. an der Deutschen Telekom AG, einem Hochtechnologiekonzern, am Beispiel Sachsen-Anhalt´s deutlich machen, wie immer stärker auf Ballungsräume konzentriert wird.
So wurde z.B. die Direktion Telekom Magdeburg mit knapp 200 Beschäftigten aufgelöst.
Mit Ausnahme der DeTeCSM ist die Telekom mit keiner Tochter-Niederlassung in Sachsen-Anhalt präsent.
Jüngstes Beispiel ist die Umorganisation der Tochter DeTeCSM, die nach ihrem überaus erfolgreichen Start als bundesweites Modell für die Informationsverarbeitung der Deutschen Telekom AG gedient hat.
Zum 01.01.1998 wird die DeTeCSM nicht mehr Computer Service Magdeburg, sondern Computer Service Management heißen und der Sitz wird von Magdeburg nach Darmstadt verlegt.
Wir halten das für einen strukturpolitischen Skandal.
Wie in allen Bereichen sind auch im Sektor der Informations- und Kommunikationstechnologien betriebliche Umorganisationen angesagt.
Zusätzlich zu Rationalisierungsdruck und verschärfter Konkurrenz sehen sich die Beschäftigten immer stärker auch neuen Managementstrategien ausgesetzt.
Diese neuen Managementstrategien rütteln massiv an den bisherigen Sozial- und Bezahlungsstandards der Beschäftigten.
Durch das bekannte Ausgliedern, oder wie man heute in Neudeutsch sagt Outsourcing, gehen den Beschäftigten ihre bisher erworbenen tarifvertraglichen Rechte verlustig.
Die Unternehmen versuchen neue leistungs- und absatzabhängige Bezahlungssysteme zu etablieren, was für strukturschwache Gebiete, in denen sich der Absatz und Umsatz schwieriger gestaltet, unter Umständen zu einer drastischen Reduzierung der Löhne und Gehälter und damit sogar zu massivem Tarifbruch führt.
Bisher im Kern der Unternehmen angesiedelte Arbeitsplätze werden durch künstliche Schnittstellen im Sinne einer schlanken Dienstleistungsproduktion aus dem Betrieb gedrängt.
Die unbestrittenermaßen neu entstehenden Arbeitsplätze sind in den meisten Fällen vom Arbeitsinhalt her mit den in den Altunternehmen weggefallenen Arbeitsplätzen vergleichbar.
Bei Tochterbildung und Ausgliederung sind aber nur begrenzt die alten Tarifvertragsstandards zu halten.
Gänzlich neu entstehende Arbeitsplätze in dem Bereich der sich um die Informations- und Kommunikationstechnologien rankenden Dienstleistungen sind sehr häufig im Bereich der ungesicherten sozialversicherungsfreien Beschäftigungsverhältnisse angesiedelt.
Dies gilt zum Beispiel für die überall entstehenden Callcenter und die zur Zeit in Gründung befindlichen Operatordienste, so z. B. private Komfortauskünfte.
Gleiches gilt auch oft genug für die Beschäftigten bei den sogenannten dern der neuen Dienstleistungen.
Bei Ausgliederungen im Bereich des Services und der Logistik, so erste Trends, führen hier in die sogenannte „Scheinselbständigkeit“.
Dies gilt für den Bereich der Servicetechniker, Entstörer und die Arbeitsplätze im Bereich der Logistik.
Die Folgen für die Betroffenen und für das Sozialversicherungssystem müssen an dieser Stelle nicht im Detail dargestellt werden.
In der Konsequenz entwickeln wir uns zu einem aus den USA bekannten Beschäftigungsmodell, daß aus unserer Sicht keinesfalls gesellschaftspolitisch gewollt sein darf.
Vor dem Hintergrund dieser knapp umrissenen Trends stellt sich die Frage, welche gewerkschaftlichen Handlungsmöglichkeiten zu mehr Beschäftigung es in der vermeintlichen Wachstumsbranche tatsächlich gibt?
Um zu tatsächlichen Fortschritten und zu einem sinnvollem Erschließen der Beschäftigungsfelder zu gelangen, ist gewerkschaftliches Handeln erforderlich. Ansonsten lassen sich die Beschäftigungspotentiale in den neuen Informations- und Kommunikationstechnologien kaum nutzen und sich die aufgezeigten negativen Effekte kaum begrenzen.
Als Gewerkschaften haben wir drei grundsätzliche Handlungsebenen, um für die Erschließung der neuen Beschäftigungfelder zu wirken.
Dies ist erstens die politische Handlungsebene, zweitens die tarifpolitische Handlungsebene und drittens die Handlungsebene vermittelt über die Betriebsräte der betrieblichen Mitbestimmung.
In unserer ersten Handlungsebene haben wir die Auseinandersetzung mit der derzeitigen Regulierungs- bzw. Deregulierungspolitik.
Wie sich bei der derzeitigen politischen Konstellation denken läßt, handelt es sich hierbei um ein sehr schwieriges Feld. Aber auch hier versuchen wir durch ständige Kontakte und Einflußnahme unsere Position einzubringen und die Entscheidungsträger auf die Konsequenzen ihrer Liberalisierungspolitik hinzuweisen.
Da die Regulierungspolitik zunehmend auf europäischer Ebene erfolgt, ist für eine erfolgreiche Einflußnahme eine internationale Zusammenarbeit dringend geboten.
Wir als Deutsche Postgewerkschaft bemühen uns innerhalb der Internationale der Post- und Telegraphenarbeiter um eine weltweite enge Zusammenarbeit mit anderen Gewerkschaften. Des weiteren haben wir als Postgewerkschaft in Brüssel ein hauptamtlich besetztes Europabüro.
Als DPG bemühen wir uns, den Verantwortlichen Sachsen-Anhalt´s in der Landespolitik zu verdeutlichen, welche regionalen Entwicklungen und welche Standortfragen bzw. Gefahren durch die Regulierungspolitik beeinflußt werden.
Die Länder sind über den Regulierungsrat direkt in die politische Willensbildung eingebunden. Hier wünschen wir uns ein wesentlich stärkeres Engagement unserer Landesregierung.
Die für Gewerkschaften natürlich direkteste Handlungsebene ist die tarifpolitische Ebene.
Hier versuchen wir als Postgewerkschaft tarifpolitische und damit für den einzelnen Arbeitnehmer einklagbar auf die geschilderten Tendenzen einzuwirken.
Wichtigstes Ziel ist es, den Arbeitsplatzabbau zu begrenzen und die Unternehmen durch den tarifvertraglichen Ausschluß betriebsbedingter Beendigungskündigungen zu mehr Innovation für Beschäftigung zu zwingen.
Aktuell haben wir diesen Ausschluß betriebsbedingter Beendigungskündigungen für unseren Organisationsbereich bis zum Jahresende 1997 vereinbart.
Als Organisation sind wir entschlossen, Verträge dieser Art deutlich weiter zu verlängern.
Eine solche Vertragsgestaltung zwingt aus unserer Sicht die Unternehmen über Beschäftigungsmöglichkeiten in den Unternehmen nachzudenken.
Um das Ausgliedern möglichst sozialverträglich zu gestalten und wann immer möglich vertraglich zu begrenzen, haben wir für fast alle Tochterunternehmen, zur Sicherung der materiellen und obligatorischen Rechte der Beschäftigten, Standardüberleitungstarifverträge abgeschlossen.
Mit dem Tarifvertrag zur Sanierung des Frachtdienstes ist es uns gelungen, eine Begrenzung der Fremdvergabe zu vereinbaren.
Ein weiterer Punkt, auf den ich bei der Analyse der Trends nicht weiter eingegangen bin, ist die Um- und Weiterqualifikation der von Umorganisation und Rationalisierung betroffenen Beschäftigten.
Auch hier haben wir durch unsere Rationalisierungsschutztarifverträge verbindliche Qualifikationsmöglichkeiten für die Beschäftigten eröffnet.
Ein weiterer Schritt ist in unserem Tarifvertrag zum Bündnis für Arbeit der Versuch, Überzeitarbeit zu begrenzen bzw. die Abwicklung in Freizeit sicher zu stellen.
Des weiteren ist es uns als DPG, und dies ist wohl ein Novum, gelungen, bisher unregulierte Beschäftigungsverhältnisse in einem Tarifvertrag zur alternierenden Teleheimarbeit abzusichern.
Hierbei werden erstmals Teleheimarbeiter von einem Tarifvertrag erfaßt, in dem bestimmte betriebliche Anwesenheitszeiten aber auch Haftungsfragen geregelt sind.
Die Handlungsebene der betrieblichen Mitbestimmung bietet, vermittelt über die Betriebsräte, nur die Möglichkeit durch die Ausweitung und flexible Nutzung der Arbeitszeit für Beschäftigte und Kunden zu einer Akzeptanzerhöhung für die Dienstleistungen beizutragen.
Wie sie erkennen können, bemühen wir uns die Eingangs skizzierten Trends gestaltend zu begleiten.
Wir tun dies nicht nur, weil wir für unsere organisierten Kolleginnen und Kollegen eine Schutzfunktion wahrnehmen wollen, sondern auch, um die Akzeptanz für neue Beschäftigungsfelder und Dienstleistungen zu erhöhen.
Ich bin überzeugt, daß nur, wenn die neuen Dienstleitungen auch Arbeitsplätze mit Perspektive bieten, die Bevölkerung diese Dienstleistungen auch als Kunde annehmen wird.
Dennoch, bei den gegebenen Rahmenbedingungen und den bereits sichtbar werdenden Entwicklungen werden wir zukünftig nicht darum herumkommen, die vorhandene Arbeit in unserer Gesellschaft neu zu verteilen.
Das heißt konkret, neben den Möglichkeiten wie beispielsweise Jahresarbeitszeitmodellen, Sabbatjahr usw. ist eine Wochenarbeitszeitverkürzung dringend geboten, da wie aufgezeigt, die erwarteten Beschäftigungswunder ohne entsprechende Begleitung ausbleiben werden.
In diesem Sinne freue ich mich auf eine spannende Diskussion und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.